Wann ist ein Flur ein notwendiger Flur?

vestibule
Den wesentlichen Bestandteil des bauordnungsrechtlichen Rettungswegsystems bilden notwendige Treppen und notwendige Treppenräume (vertikale Erschließung) sowie notwendige Flure (horizontale Erschließung). Notwendige Flure bilden somit einen wichtigen Baustein des Rettungswegkonzeptes. Doch wann muss ein Flur eigentlich konkret als notwendiger Flur mit den entsprechenden baurechtlichen Anforderungen hergestellt sein? Hierzu definiert die Musterbauordnung (MBO) [1]:

§ 36 Notwendige Flure, offene Gänge
(1) Flure, über die Rettungswege aus Aufenthaltsräumen oder aus Nutzungseinheiten mit Aufenthaltsräumen zu Ausgängen in notwendige Treppenräume oder ins Freie führen (notwendige Flure), müssen so angeordnet und ausgebildet sein, dass die Nutzung im Brandfall ausreichend lang möglich ist. […]

Flure müssen also insbesondere dann als notwendiger Flur hergestellt werden,
wenn Rettungswege aus Aufenthaltsräumen über diesen Flur geführt werden.

Es gilt also immer zu prüfen, ob einer der beiden erforderlichen Rettungswege aus einen Aufenthaltsraum über den fraglichen Flur führt. Wenn ja, dann ist dieser Flur aus brandschutztechnischer Sicht „notwendig“. Dies bedeutet, dass er entsprechende Anforderungen hinsichtlich Umfassungswände, Türen, Wandbekleidungen etc. erfüllen muss.  Hierbei ist zu beachten, dass auch Angriffswege für die Feuerwehr (hier: zu Aufenthaltsräumen) zu den Rettungswegen zählen. Flure die jedoch nur zu Nebenräumen, WC`s oder ähnlichen Räumen führen, müssen somit nicht als notwendiger Flur ausgebildet werden.

Die Bauordnung sieht einige Ausnahmen vor, bei denen Flure, welche die oben genannten Kriterien erfüllen, doch nicht als notwendige Flure hergestellt sein müssen:

[…] Notwendige Flure sind nicht erforderlich
1. in Wohngebäuden der Gebäudeklassen 1 und 2,
2. in sonstigen Gebäuden der Gebäudeklassen 1 und 2, ausgenommen in Kellergeschossen,
3. innerhalb von Nutzungseinheiten mit nicht mehr als 200 m² und innerhalb von Wohnungen,
4. innerhalb von Nutzungseinheiten, die einer Büro- oder Verwaltungsnutzung dienen, mit nicht mehr als 400 m²; das gilt auch für Teile größerer Nutzungseinheiten, wenn diese Teile nicht größer als 400 m² sind, Trennwände nach § 29 Abs. 2 Nr. 1 haben und jeder Teil unabhängig von anderen Teilen Rettungswege nach § 33 Abs. 1 hat.

Die Erleichterungen greifen also für die Gebäudeklassen 1 und 2 (außer Kellergeschosse in Nicht-Wohngebäuden), für Nutzungseinheiten die eine Fläche von 200 m² nicht überschreiten sowie grundsätzlich für Flure innerhalb von Wohnungen. Bei Nutzungseinheiten die einer Büro- und Verwaltungsnutzung dienen, darf bei einer Fläche bis zu 400 m² auf notwendige Flure verzichtet werden. Als Besonderheit erlaubt die Bauordnung in letzterem Fall auch eine Büro- bzw. Verwaltungseinheit mit Trennwänden brandschutztechnisch in Teilbereiche kleiner 400 m² zu unterteilen, um die Erleichterung in Anspruch zu nehmen.

Muss ich immer einen Flur anordnen?

Leider wird noch häufig die Meinung angetroffen, dass in Nutzungseinheiten welche die „Erleichterungskriterien“ die oben genannt wurden nicht erfüllen, dann zwingend ein Flur als notwendiger Flur angeordnet werden muss. Dem ist jedoch nicht so. Wenn es in der Nutzungseinheit keinen Flur gibt, dann müssen Sie nicht extra einen Flur herstellen. Die Frage ergibt sich häufig bspw. bei Großraumbüros ohne Flure.  Hierzu bezieht die Bauministerkonferenz / IS-ARGEBAU in ihrem Fragen-Antwort-Katalog zur Musterbauordnung klar Stellung:

[…] § 36 MBO regelt nicht, wo ein Flur konzeptionell vorhanden sein muss.

So ergibt sich baurechtlich die Möglichkeit, dass beispielsweise Großraumbüros mit weit mehr als 400 m² Fläche ohne Flure und somit auch ohne notwendige Flure ausgeführt werden können.  Handelt es sich dann jedoch um einen Sonderbau („… Gebäude mit Räumen, die einer Büro- oder Verwaltungsnutzung dienen und einzeln eine Grundfläche von mehr als 400 m² haben“), dann können selbstverständlich weitergehende baurechtlich Anforderungen gestellt werden.

Ihr Patrick Gerhold

[1] Musterbauordnung – MBO – Fassung November 2002; Bauministerkonferenz / IS-ARGEBAU

Foto: flickr.com „Marcus Pink“ unter CC-Lizenz

4 Gedanken zu „Wann ist ein Flur ein notwendiger Flur?

  1. Norbert Bärschmann sagt:

    Wann ist ein Flur notwendig?

    Wenn ein notwendiger Flur notwendig ist, dann muss dieser erstellt werden (bis auf die zulässigen Erleichterungen).

    Ein notwendiger Flur ist immer dann erforderlich, wenn abtrennte Aufenthaltsräume vorhanden sind und diese keine direkte Anbindung ans Freie, einen notwendigen Flur bzw. Treppenraum haben.

    Das gilt für Großrambüros nicht, da diese keine abgetrennte Aufenthaltsräume haben. Hier kann auch kein Flur gefordert werden, da eben keiner notwendig ist. Daraus ergibt sich auch keine Abweichung. Erst bei Überschreitung der Rettungsweglängen oder der Brandabschnittsausdehnungen können sich Abweichungen ergeben. Ggf. kommen 2 bauliche Rettungswege in Betracht und das in Abhängigkeit der Nutzerzahl (Sonderbau wegen Fläche größer 400 m²).

    In Kombibüros gibt es abgetrennte Aufenthaltsräume. Da hier kein notwendiger Flur gewünscht ist und auch nicht erstellt wird, liegt eine Abweichung vor (fehlender notwendiger Flur z. B. Art. 34 Abs. 1 BayBO). Diese Abweichung wird im Einzelfall kompensiert, meist durch ausreichende Sicherverbindungen und oder Internalarmierung.

    Wenn die abgetrennten Aufenthaltsräume von Kombibüros direkte Ausgänge ins freie haben, liegt auch keine Abweichung wegen felender Flure vor, da ja dann keine „notwendig“ sind. Hier stellt sich die Frage ob das dann noch ein Kombibüro ist.

    Bei mir haben schon BS- Planer Abweichungen eingereicht, welche keinen Flur in einer Turnhall errichten wollten. Diese Abweichung musste ich ablehnen, da das keine Abweichung sein kann.

    Zusammenfassend stelle ich immer wieder fest, das diese Problematik von einigen BS- Planern nicht verstanden wird.

    Norbert Bärschmann

    • P. Gerhold sagt:

      Sehr geehrter Herr Bärschmann, vielen Dank für Ihren Kommentar.
      Leider ist Ihre Aussage falsch. Aus Art. 34. (1) BayBO ergibt sich nicht die Verpflichtung Flure anzuordnen, lediglich geplante oder vorhandene Flure müssen, wenn zutreffend, als notwendige Flure ausgebildet werden. Wenn also eine Nutzungseinheit keine Flure aufweist, dann kann hieraus auch keine Anforderung an notwendige Flure resultieren. Dies sieht auch die Argebau in den Auslegungshilfen so, welche ich Ihnen hier einmal verlinke:
      https://www.is-argebau.de/verzeichnis.aspx?id=17217&o=759O986O991O17217

      Viele Grüße
      P. Gerhold

  2. Gast sagt:

    Darf grundsätzlich ein Rettungsweg (Büro- u. Verwaltung) aus einer Nutzungseinheit <400m² direkt über eine andere Nutzungseinheit die ebenfalls < 400m² dann in ein notw. Flur und notw. Treppenraum führen?

    • P. Gerhold sagt:

      Sehr geehrter Herr Krawtschenko,
      für Nutzungseinheiten mit mindestens einem Aufenthaltsraum wie Wohnungen, Praxen, selbstständige Betriebsstätten müssen in jedem Geschoss mindestens zwei voneinander unabhängige Rettungswege ins Freie vorhanden sein; beide Rettungswege dürfen jedoch innerhalb des Geschosses über denselben notwendigen Flur führen. Rettungswege über andere Nutzungseinheiten zu führen ist nicht zulässig. Ggf. kann einer der beiden Rettungswege im Rahmen eines Abweichungsantrages über eine benachbarten Nutzungseinheiten genehmigt werden, wenn die jederzeitige Zugänglichkeit plausibel dargestellt wird.

      Es ist aber auch möglich eine große Büro-Nutzungseinheit mit einer Trennwand in zwei kleinere Nutzungsbereiche < 400 m² zu unterteilen. Auch dann kann auf notwendige Flure verzichtete werden. Vorraussetzung ist jedoch, dass die Teilnutzungen jeweils eigenständige Rettungswege aufweisen. Siehe § 36 (1) Satz 2 Punkt 4 MBO. Viele Grüße P. Gerhold

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